Wer hoffte, dass sich Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion von Grund auf erneuern könnte, sah sich mit dem Aufkommen des Putinismus getäuscht. Es herrscht die alte sowjetische Knast-Matrix.
Moskau war nie das politische und kulturelle Zentrum Russlands. Die Stadt diente als Machtzentrum der Regierung, als Empfänger und Verteiler der ökonomischen Ressourcen. Heutzutage ist sie der Ort, an dem sich die neoimperialen Ambitionen Putins verdichten.
Die Behauptung, derzeit gebe es in Russland eine Politik, erscheint mir lächerlich und antiutopisch. Tatsächlich aber leben wir Russen in dieser Antiutopie. Es gibt keine Politik in Russland: Sie hat keine Zielrichtung, keine Logik und auch keine Ideologie, obwohl eine Ideologie vorgegaukelt wird. Ebenso wenig gibt es Elemente von politischer Aktivität. Die Politik ist absurd und weist Züge der surrealen Welt von Wladimir Sorokins Romanen auf.
Statt utopische Fortschrittsversprechen werden uns Gesetze unterbreitet, die so wahnwitzig sind, dass sie selbst die romantischen Oppositionellen der sowjetischen sechziger Jahre erschüttern könnten, die sich längst daran gewöhnt hatten, im Land der siegreichen Logokratie zu leben, sprich in einem Reich, in dem die «Macht des Wortes» gilt.
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Russisch/по-русски: https://rufabula.com/author/alina-vituhnovskaya/955
Alina Wituchnowskaja, lebt als Schriftstellerin in Moskau. – Aus dem Russischen von Barbara Lehmann.